Gedankenbahnen ziehen. Am Pool zwischen Palmen und Sonnencreme-Odeur hat der Kopf Leerlauf und das Gehirn beginnt unter der spanischen Sonne Kapriolen zu schlagen. Wenn der Tag keinerlei Gefahren birgt: Wer weiß schon, was als nächstes kommt? Alles ist denkbar, alles ist möglich. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Das junge Mädchen dort – woher wohl stammt ihre lange Narbe an der seitlichen Taille? Eine Operation? Ein Unfall? Eine Organspende? Und der dicke Mann da hinten? Ist das sein Sohn, sein Enkel oder sein Neffe, mit dem er dort so fröhlich im Wasser planscht? Die Frau auf der Liege mit den künstlichen Nägeln und Brüsten, arbeitet sie den Jahres in einem Büro? Ist sie selbstständig? Hat sie Kinder und / oder Hunde? Welche Partei wählt sie? Wählt sie überhaupt?
Das junge Pärchen mit den kunstvoll arrangierten Tattoos: Sind sie schon lange zusammen? Verheiratet? Sie gehen zärtlich miteinander um. Sind aufmerksam und ruhen in sich selbst. Strandwächter mit Elefantenmuster zieren ihren Platz. Sie liegen Hand in Hand. Wird das so bleiben? Wie lange? Für immer?
Und der hagere Opa mit seiner Familie auf der Decke? Welche Nationalität hat er? Ist er viel herumgekommen in seinem Leben oder war er stets an einem Ort? Hat er dies Welt gesehen? Verschiedene Menschen gesehen? Wie lange wird ihm noch bleiben? Ist er krank und deshalb so dünn?
Die Jungs, die sich um den Fußball herumdrücken, sind sie elf, zwölf? Gehen sie gern in die Schulen haben sie Geschwister? Welche sind ihre Lieblingsfußballer?
Die Familie mit den drei quirligen Kindern. Alle haben die gleiche Haarfarbe, sehen aus wie die Orgelpfeifen, wie sich da um die Boccadios verteilende Mutter scharren. Der Vater, der ein bisschen so tut, als ginge ihn das alles nichts an. Ist das öfter so? Stört das seine Frau? Wenn nein, warum nicht?
Das Baby, das aufgeregt quietschend auf sein gelbes Gummientchen einschlägt. Ist es sein erster Sommer? Der erste Tag am Pool? Wie fühlt es sich für die dicken Beinchen an, wenn das laue Wasser die Waden umspült? Welche Eindrücke schaffen es ungefiltert in das kleine Gehirn? Wird es im nächsten Jahr noch genauso begeistert reagieren?
Die Frau mittleren Alters, die mit ihrer Freundin in dicken Büchern schmökert, Chips knabbert und Dosenbier zischt. Die hochtoupierte Dauerwelle hat einen Lila Stich und macht die Damen älter als sie wahrscheinlich sind. Aber das ist ihnen egal. Sie haben keine Männer oder sie zu Hause gelassen und widmen sich nur ihren Ferienhobbies: Gesellschaftsromane und Essen …
So geht es den ganzen Vormittag. Mein Kopf spinnt Fäden und läuft langsam heiß. Eine Abkühlung im türkisblauen Schwimmbecken fährt mich auf Normaltemperatur zurück, doch kaum tauche ich wieder auf, registriert mein Gehirn bereits die nächsten Menschen und Details um mich herum: Schwarz-bespannte aufgeblähte Bäuche, weiße Schenkel und rote Nasen. Wurmartige Schwimmhilfen in allen Farben und Kindergesichter zwischen chlorgetränkter Freude und Panik. Muskulöse Arme, die schlanke Armen halten und kühle Küsse küssen. Und überall Bilder: Mit Tinte gestochene Bilder von Tribals, geometrische Formen, Namen und Motti, sogar eine eine Ananas, ein Heißluftballon.
Ich sehe mir selbst bis zum Nabel, mein Blick bleibt an einem kleinen silbernen Ring hängen. Meine Füße lösen sich in den Wellenbewegungen des Wasser auf und ich seufze erleichtert. Ich machen einen großen Bogen um mich selbst und steige schnell aus dem Pool, um meine Gedanken mit einem Buch zu füttern.
Ablenkung ist die halbe Miete.